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Ist „Heizungsluft“ ungesund?

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Kann zu trockene oder zu feuchte Raumluft die Atemluftqualität in unseren Wohnungen negativ beeinflussen und sogar krank machen?

Kehren wir zur Heizungsluft, also der durch Heizungsanlagen im Winter erwärmten Luft, zurück. Nachdem wir im Abschnitt „Was eigentlich ist Heizungsluft?“ festgestellt hatten, dass es eine Heizungsluft im technischen Sinne gar nicht gibt, will ich eine andere Frage stellen: Ist die Luft in winterlich beheizten Räumen in der Lage unsere Gesundheit zu beeinträchtigen? Und wenn ja, was könnten die Ursachen sein?

Thermostatventile sorgen für konstante Raumtemperaturen (Bild von moritz320 auf pixabay.com)
Thermostatventile sorgen für konstante Raumtemperaturen (Bild von moritz320 auf pixabay.com)

Der Hintergrund: Eine Unmenge von Artikeln im Web behauptet, dass Heizungsluft zu trocken sei, die Schleimhäute austrockne, Viren besonders gut überleben würden, die Ansteckungsgefahr steigt usw.. Auf jeden Fall wird die Angst geschürt vor „böser, trockener Heizungsluft“.

Aber was ist wirklich dran an den vermeintlichen Gesundheitsgefährdungen? Um mich auf einem mir nicht geläufigen Gebiet etwas schlauer zu machen, habe ich mich ein wenig in der medizinischen Fachliteratur umgesehen.

Fakt ist, wir müssen atmen. Unsere Atemluft besteht zu 21% aus Sauerstoff und 78% aus Stickstoff. Das restliche Prozent teilen sich verschiedene Edelgase, Kohlendioxid (CO2) und Spuren anderer Gase und der wichtige, aber mengenmäßig vergleichsweise kleine Bestandteil Wasserdampf.

Atmungsorgan des Menschen, (Bild von OpenClipart-Vectors auf pixabay.com)
Atmungsorgan des Menschen, (Bild von OpenClipart-Vectors auf pixabay.com)

Atemluft wird in der Regel durch die Nase ein- und ausgeatmet. Die im Verhältnis zur Körpertemperatur (so etwa 37°C) kühlere Atemluft wird an der Oberfläche der gut durchbluteten Nasenschleimhaut erwärmt. Aufgabe der Nasenschleimhaut ist es zudem, die Atemluft durch körpereigene Flüssigkeit zu befeuchten. Nasenhaare fangen die groben, und Flimmerzellen sowie das sie umhüllende Sekret die kleineren Fremdpartikel ab. Auf dem Weg in die Lunge erhöht sich die Temperatur der Atemluft weiter bis auf etwa 34°C. Der Anstieg der Temperatur der Atemluft und deren zusätzliche Befeuchtung durch die Schleimhäute sind Voraussetzung für eine gut funktionierende Atmung.

Durch den ständigen Transport des Nasensekretes in Richtung Rachen verschlucken wir quasi die eingeatmeten Teilchen, wie Staub, Pollen, winzige Insekten. Beim Schnauben sehen wir manchmal, wie hoch die Filterleistung der Nase war. Atmen wir durch den Mund, z. B. beim Joggen, fehlt die Filterwirkung und auch die Temperaturerhöhung und Befeuchtung der Atemluft funktioniert nicht richtig.

Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch der umgekehrte Vorgang, das Ausatmen. Hierbei kondensiert nämlich ein Teil der Feuchtigkeit der ausgeatmeten Luft an der durch Einatmung abgekühlten Nasenschleimhaut, wodurch diese wieder „rückbefeuchtet“ wird.

Widersprüchliches habe ich über die Notwendigkeit der Befeuchtung bzw. Entfeuchtung der Atemluft selbst bzw. den Bereich der empfohlenen relativen Luftfeuchtigkeit gelesen. Der Wohlfühl-Bereich wird in unterschiedlichen Quellen, unter anderem in der für Lüftungsanlagen maßgeblichen DIN, mit 30% bis 70% relativer Luftfeuchtigkeit angegeben. Die neue Norm DIN EN16798-1 (Eingangsparameter für das Innenraumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden bezüglich Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik) gibt dagegen für die Anforderungsklasse II, die das normale Maß an Erwartungen an die Luftqualität beschreibt, einen unteren Grenzwert von 25% und einen oberen von 60% an, bei dem entweder Befeuchtung bzw. Entfeuchtung der Luft ratsam wäre. In der Kategorie I mit einem hohen Maß an Erwartungen (auch empfohlen für Räume, in denen sich sehr empfindliche und anfällige Personen mit besonderen Bedürfnissen aufhalten, z. B. Personen mit Behinderungen, kranke Personen, sehr kleine Kinder und ältere Personen) werden die Grenzen sogar nur bei 30 % bzw. 50 % gesetzt. In einer Dokumentation der HafenCity Universität Hamburg zur Thermischen Behaglichkeit (Arno Dentel / Udo Dietrich, Thermische Behaglichkeit – Komfort in Gebäuden) wird dagegen auf einen einzuhaltenden Wertebereich von 30 bis 65% verwiesen.

Hygrometer mit einem empfohlenen Bereich von 40 bis 70%
Hygrometer mit einem empfohlenen Bereich von 40 bis 70%

Schauen wir uns nun auch noch Hygrometer verschiedener Hersteller an, wird auf den Skalen der Wohlfühl- bzw. anzustrebende Wertebereich der relativen Luftfeuchtigkeit ebenfalls ganz unterschiedlich, oft jedoch mit 40% bis 60%, zum Teil bis 30% bzw. 70% angegeben. Wir finden also keine klare, eindeutige Empfehlung. Außerdem wird in der Regel die zugrunde liegende Temperatur nicht mit erwähnt, wodurch keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Wassermenge in Gramm pro m³ Luft gezogen werden können.

Unabhängig von den sinnvollen Grenzen optimaler Luftfeuchtigkeit ist die Einatemluft aber offenbar prinzipiell zu trocken für eine gut funktionierende Atmung und muss konditioniert, also auf dem Weg zur Lunge aufbereitet werden. Daher findet bei der Nasenatmung an der Schleimhaut immer eine zusätzliche Befeuchtung der Einatemluft bis zur Sättigungsgrenze statt.

Das muss auch so sein, wie folgende vereinfachte Beispielrechnung ganz einleuchtend zeigt:

Nehmen wir an, die Atemluft hat eine Temperatur von 20°C, die relative Luftfeuchtigkeit sei 60%. In einem Kubikmeter Raumluft sind also 10,4 g Wasserdampf enthalten. Durch Einatmung über die Nase wird sich die Luft auf etwa 34 °C erwärmen, bevor sie die Lunge erreicht. Erfolgte bei dieser Temperaturerhöhung keine zusätzliche Befeuchtung der Einatemluft durch die Schleimhäute, würde die Luft infolge der Erwärmung mit einer relativen Feuchtigkeit  von etwa 20% in die Lunge einströmen. Das würde tatsächlich zur Austrocknung führen. Es könnten sich Schleimpfropfen bilden. Fließt die Einatemluft aber, wie von der Natur vorgesehen, mit Feuchtigkeit angereichert nahezu gesättigt ein, müsste die Luft eine Wassermenge von etwa 35 g/m³ aufweisen, was ohne entsprechende Befeuchtung durch die Nasenschleimhaut gar nicht möglich wäre.

Das Beispiel zeigt, dass die zusätzliche Befeuchtung der Einatemluft durch die Nasenschleimhaut mengenmäßig erheblich ist (plus 24 Gramm/m³). Ob daher die Einatemluft bei 20°C nun um 5 Gramm trockener (das entspräche etwa 40% relativer Feuchtigkeit) oder um 5 Gramm feuchter (das entspräche etwa 85% relativer Feuchtigkeit) ist, spielt für das Befeuchtungsziel von nahezu 100% an den Schleimhäuten keine große Rolle. Mit anderen Worten:

Die vorherrschende Vorstellung, das trockenere Raumluft selbst befeuchtet werden muss, um die Wirksamkeit der Schleimhäute nicht zu verringern, ist wahrscheinlich falsch. Die Schleimhäute kommen auch ohne Anpassung der Atem-Luftfeuchtigkeit ganz gut allein zurecht.

Auf diesen Umstand wird indirekt auch in einer vielbeachteten Literaturstudie hingewiesen, die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung herausgegeben wurde:

„Auch die landläufige Vorstellung, dass durch zu trockene Luft die Schleimhäute austrocknen und sich infolgedessen Krankheitserreger leichter ansiedeln können, ist umstritten. So zeigten Laboruntersuchungen keine Veränderung der Schleimviskosität in Abhängigkeit von der relativen Luftfeuchtigkeit“ (N. von Hahn, „Trockene Luft“ und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit – Ergebnisse einer Literaturstudie , https://www.dguv.de/medien/ifa/de/pub/grl/pdf/2007_009.pdf)

Wenn aber die Luftfeuchtigkeit der Umgebungsluft keinen Einfluss auf die Schleimviskosität hat (je trockener desto zäher, je feuchter umso flüssiger), gibt es auch keinen erkennbaren Grund die Atemluft zusätzlich anzufeuchten.

Warum wird dann aber überall behauptet, die Heizungsluft sei zu trocken und man müsse sie anfeuchten? Ich habe langsam den Verdacht, dass sich mit der Frage bisher nur wenige Autoren ausgiebiger beschäftigt haben. Und es ist unübersehbar, dass sich die Argumentationen zahlreicher Autoren, zum Teil bis aufs Wort, gleichen, und nur das wiederholen, was andere vor ihnen schon x-mal aufgetischt haben. Kurz: hier schreibt einer vom anderen ab. Dabei scheint es den Nerv der Leser zu treffen. Irgendeine Magie scheint über dem Thema zu liegen.

Rippenheizkörper aus Stahlguß im Heizungssystem mit hohen Heizwassertemparaturen
Rippenheizkörper aus Stahlguß im Heizungssystem mit hohen Heizwassertemparaturen

Unstrittig ist aber offenbar, dass bei trockener Luft unter 30% relativer Feuchte die Staubbildung begünstigt wird (siehe auch: Hat der Staubgehalt etwas mit empfundener Trockenheit zu tun?) Staubpartikel werden mit zunehmender Trockenheit immer kleiner und leichter, so dass sie problemlos in der Luft schweben können. Da unsere natürlichen Filter (Nase) damit nicht mehr richtig fertig werden, atmen wir dann vermehrt diese winzigen Staubpartikel, Hautschuppen, Milbenkot, Sporen u.a. ein. Es kann zu einer Reizung der Atemwege kommen, die Partikel gelangen bis tief in die Lunge.

Angetrieben wird die Staubumwälzung im Winter vornehmlich durch die Heizungsanlage. Besonders intensiv ist die Umwälzung von Staub bei Heizkörperheizungen, die mit hoher Temperatur betrieben werden. Solche Heizungen finden sich vornehmlich in älteren Häusern mit eher schwacher Wärmedämmung. Bei feuchterer und ruhigerer Luft (Flächenheizungen mit niedriger Oberflächentemperatur) dagegen “klumpen” die Partikel zusammen, sinken schneller zu Boden und bilden „Wollmäuse“, so dass die Atemluft sauberer wird.

Nachgewiesen ist offenbar, dass bei trockener Luft mit relativer Luftfeuchtigkeit kleiner 40% die Ansteckungsrate für Erkältungskrankheiten zunimmt. Dies wird in einigen Quellen darauf zurückgeführt, dass beim Husten oder Niesen die herausgeschleuderten Tröpfchen in trockener Luft durch Verdunstung rasch kleiner werden und sich in der Schwebe halten können. Bei feuchterer Luft fallen die größeren Tröpfchen rasch zum Boden. Das betrifft auch andere kleinste Teilchen, wie z.B. Bakterien, da an den Partikeln Wassermoleküle kondensieren und so entsprechend schwerer werden. Andere Quellen verweisen auf eine amerikanische Studie („Grippeviren lieben trockene Luft“, 2013, https://link.springer.com/article/10.1007/s15006-013-0190-z), in der sogar festgestellt worden sei, dass „…eine hohe relative Luftfeuchtigkeit Influenzaviren den Garaus macht. Mit der Zunahme der Luftfeuchtigkeit verlieren die Erreger immer mehr ihre Infektiösität.“ Die Wissenschaftler empfehlen daher eine Luftfeuchtigkeit von mindestens 40% einzuhalten.

Eine dauerhaft zu hohe Luftfeuchtigkeit über 60 % hat zumindest indirekten Einfluss auf die Häufigkeit bestimmter Erkrankungen, begünstigt das Milbenwachstum und erhöht das Risiko bauphysikalisch bedingter Bauschäden, wie Durchfeuchtungen und Schimmelbildung.

Auf der Webseite www.aerztezeitung.de wird von Thomas Müller (nein, nicht der Fußballer) auf eine finnischen Studie (Müller, Bei Schimmel kommt schnell der Schnupfen, 2013) verwiesen, die feststellt, dass das Risiko an Schnupfen zu erkranken, bei erhöhter Raum-Luftfeuchtigkeit mit Schimmelbildung um ein Mehrfaches höher liegt. Leider finden sich keine konkreten Zahlen über die Höhe der kritischen Luftfeuchtigkeit. Ich möchte jedoch aus den Wachstumsbedingungen für Schimmelpilze (Link) schlussfolgern, dass bereits eine dauerhafte Überschreitung von 60% Raum-Luftfeuchtigkeit bei etwa 20°C Raumtemperatur problematisch ist. Ob Schnupfen direkt eine Folge von erhöhter Raum-Luftfeuchtigkeit mit Schimmelbildung ist, wurde in der Studie nicht nachgewiesen. Es wäre auch möglich, dass das Biotop, in dem sich Schimmelpilze wohlfühlen, auch andere Erreger hervorbringt.

Schimmelbildung in einer Außenwandecke unter der Tapete, Oberflächentemperatur 11,8 °C bei Außentemperatur von etwa -5°C.
Schimmelbildung in einer Außenwandecke unter der Tapete, Oberflächentemperatur 11,8 °C bei Außentemperatur von etwa -5°C.

Im Allergo Journal, einer interdisziplinären Zeitschrift für Allergologie und Umweltmedizin, wird von einer Übersichtsarbeit [Dr. Barbara Kreuzkamp, Allergo 24/2015] berichtet, die den Wissensstand zu komplexen Interaktionen von Innenraumklima, Schimmelpilzkonzentration sowie Artendiversität und der klinischen Symptomatik zusammenfasst. Das Fazit der Autorin lautet: „Fest steht, dass die Anwesenheit höherer Konzentrationen von Schimmelpilzen aus den Gattungen Penicillium, Aspergillus und Cladosporium in Wohnräumen mit der Entwicklung von Asthma und Asthmaexazerbationen assoziiert ist. Inwieweit noch andere Schimmelpilzspezies und bisher unbekannte Kofaktoren eine Rolle spielen, ist noch offen.“

Nun, die in der Arbeit erwähnten Schimmelpilzarten treten nach meinen Erfahrungen auch in den meisten schimmelgeschädigten Wohnungen auf. Ihre Wachstumsbedingungen (Link: Wachstumsvoraussetzungen von Schimmelpilzen) verbessern sich sowohl mit steigender Temperatur als auch mit steigender Raum-Luftfeuchtigkeit. In Wohnungen mit schwacher Wärmedämmung und zahlreichen Wärmebrücken reicht es zum Wachstum an bestimmten kritischen Stellen, wenn bei normaler Raumtemperatur im Winter dauerhaft erhöhte Luftfeuchtigkeitwerte über 60% herrschen.

Ich halte es für richtig, bei etwa 21 °C Raumtemperatur eine relative Luftfeuchtigkeit im Winterhalbjahr von 35% bis 55% anzustreben. Nach meinen Erfahrungen und Ergebnissen ausgewerteter Messreihen realer Wohnverhältnisse minimiert sich dadurch das Risiko in Bedingungen zu wohnen, in denen wir krank werden, die unbehaglich sind und die das Wachstum von Schimmelpilzen begünstigen.

Mein Fazit: Zu trockene oder zu feuchte Raumluft im Winterhalbjahr kann die Atemluftqualität in unseren Wohnungen negativ beeinflussen. Es ist wahrscheinlich, dass eine dauerhafte Abweichung vom Normalbereich die Entstehung von Krankheiten mittel- oder unmittelbar begünstigt. Offenbar ist unter gesundheitlichen Gesichtspunkten die Einhaltung eines optimalen Bereiches von über 35% und unter 55 % Luftfeuchtigkeit im Winterhalbjahr anzustreben….weiterlesen

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